Die kritische masse der kreativen
1. Rede von Tom de Toys, gehalten am 15.12.05 in der Z-BAR, berlin-mitte, während einer sitzung der in gründung befindlichen kulturpartei.
(in gedenken an Nietzsches FRÖHLICHE WISSENSCHAFT, Picassos vision einer WISSENSCHAFT VOM MENSCHEN, Kandinskys INNERER NOTWENDIGKEIT und Paul Klees INNEREM EXIL ist diese polemik Joseph Beuys (promotor einer "sozialen plastik" gemäß eines ERWEITERTEN KUNSTBEGRIFFS und gründervater der "GRÜNEN") gewidmet sowie stellvertretend für viele künstlerschicksale Eric Satie & Kurt Schwitters, die beide verarmt und vereinsamt starben, während ihre werke inzwischen zum europäischen kulturellen kanon zählen.)
liiiebe freunde der vision einer kulturpartei !
ÜBER die letzten wochen hinweg häuften sich in meiner emailbox skeptische kommentare zu Malte Brants` initiative der gründung einer partei, die sich das wörtchen KULTUR auf die fahne schreibt. diese kommentare stammten nicht etwa von kulturpessimisten oder womöglich kulturfeinden sondern ausgerechnet von engsten verbündeten, die selber unter der katastrophalen kulturpolitik in diesem lande leiden! dieselben kollegen, die mir da schrieben, wie paradox und absurd sie ein derartiges unterfangen fänden, gehören zu unseren wichtigsten eventmanagern des subkulturellen undergrounds und bejammern seit jahren ihre desaströse situation, die zur selbstausbeutung zwingt, um der öffentlichkeit begabte kulturschaffende vorzustellen. natürlich geht es hier nicht um die debatte des begriffs "begabung", denn die bedeutung von künstlerischen werken erschließt sich eben NICHT auf politischer ebene, wie es die popindustrie und ihre massenmedien tagtäglich suggerieren. wir müssen stattdessen darüber diskutieren, wie sich der allgemeine ZUGANG zu den kunstprodukten einerseits erleichtern läßt und andererseits, wie die kunstproduzenten besser gefördert werden können, um ihrem beruf und damit ihrer berufung als selbständig forschende leichter nachgehen zu können. nach wie vor herrscht diese falsche und einseitige vorstellung vom künstlertypus als einem menschen, der nur unter genügend leidensdruck zu "genialen" meisterleistungen fähig sei, und wie zum beweis werden rollstuhlfahrer wie Stephen Hawking und Jörg Immendorff als sensationen vermarktet, als quasi-elite im zivilisationszoo der oberaffen. aber es verhält sich in wirklichkeit genau andersherum: heutzutage gibt es immer mehr kulturschaffende, die nicht WEGEN sondern TROTZ ihres überlebenskampfes nicht müde werden (auch Immendorff und Hawking zählen dazu!), ästhetische informationen zu entwickeln und zu erfinden, die einen existenziellen MEHRWERT für unsere gesellschaft darstellen und darüber hinaus für den seelischen und sozialen fortschritt der menschheit an sich sorgen - sowohl in den "bildenden künsten" als auch in geisteswissenschaften und letztlich sämtlichen disziplinen, die den zustand der gesellschaft und ihrer werte symbolisch erforschen und darstellen, um uns bewußter, wacher, aufmerksamer, ja sensibler für das LEBEN zu machen! kultur, liebe kollegen, ihr wißt es selbst, ist etwas kritisches, und zwar im doppelten sinne: kultur ist nicht nur kritisch im sinne ihrer schwierigen selbstbeurteilung sondern auch immer kritisch im sinne von subversiv, progressiv, experimentierfreudig und frei von konventionen, tabus und dogmatischen sackgassen, in denen wir menschen oft landen, wenn es schon fast zu spät scheint, um uns vor einem untergang zu bewahren. wir brauchen kultur als ein RÜCKGRAT der zivilisation, um zivilisiert zu bleiben. oder mit anderen worten: ein bürgerliches leben in frieden und ehrfurcht vor dem leben benötigt die kritische selbstreflexion mit ästhetischen mitteln auf allen ebenen, um das leben als solches überhaupt zu erkennen und die eigene meinung mit selbstironie, seele und ganzheitlichem sachverstand zu überprüfen. denn das ist es doch, was uns am durchschnittspolitiker stört und schockiert: er ist humorlos und machtgeil, dient als korrupte marionette der industrie und traut sich kaum, seine fehler zuzugeben, wenn er sich in seiner scheuklappen-ideologie verfängt und erwischt wird. politikern haftet schon immer der skandalöse ruf an, ihr volk nur zu täuschen, ganz gleich ob in diktaturen oder sogenannten demokratien. aber woran liegt das? ganz einfach, meine damen und herren: am kulturlosen bewußtsein dieser zugeknöpften, geistig verwahrlosten oberschicht; denn kultur bedeutet OFFenheit, neugier und kosmische weite im herzen. kultur ist DAS "spirituelle" moment der gesellschaft, und wenn sie das nicht ist, dannn hat kultur nichts mehr mit kunst zu tun, dann ist kultur nur ein musealer zombie der ewig gestrigen und verlogenen anstatt lebendiger ort der begegnung. und wenn ich begegnung sage, dann meine ich die gesamte palette von multimedialen und multikulturellen bildungsmöglichkeiten - angefangen vom wunder der SPRACHEN, mithilfe derer der einzelne sich mit seinem nächsten und fernsten nachbarn auf diesem planeten kultiviert austauschen und einigen kann, über das kirmesspektakel, wo menschen sich kultiviert miteinander vergnügen, bis hin zum großen kunstevent, bei dem das szene-gebrodel aus den ateliers und künstlerkneipen an die oberfläche schwappt, was z.b. in einigen berliner bezirken inzwischen dank sehr engagierter projekte [1] in regelmäßigen abständen geschieht. in diesem sinne plädiere ich dafür, daß eine kulturpartei keinen selbstzweck darstellt sondern der kreativen bevölkerungsschicht mit respekt helfen soll, ihre orte der künstlerischen begegnung zu pflegen und auszubauen, damit dieses land in einem ungeahnt breiten ausmaß davon profitieren kann, wieviel seele, wieviel geist, ja wieviel esprit und ekstase in seinen nischen nur darauf wartet, unseren realen banalen alltag zu bereichern und zur MOTIVATION der menschen -jungen wie alten- beizutragen, die keinen lebenssinn mehr finden in den hohlen fernsehprogrammen, sterilen operninszenierungen und überteuerten eintrittspreisen überall! nicht nur bordells müssen für arbeitslose erschwinglich sein sondern auch diese LUST AUF KULTUR muß geweckt werden, die FREUDE an der teilnahme am kulturellen treiben - denn: kultur kann und sollte in einem feineren sinne absolut sexy sein !!!
Kulturpartei: Die Dinge aus anderem Blickwinkel.
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jedem dritten Donnerstag ab 20:30h
Z-Bar
Bergstraße 2
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